Entwicklung der Bürgergemeinden im Thurgau
Mit Einbezug der Bürgergemeinde Schlatt
Die Thurgauer Bürgergemeinden bilden gemäss Gemeindegesetz vom 5. Mai 1999 öffentlich-rechtliche Körperschaften auf dem Gebiet einer Politischen Gemeinde. Den Bürgergemeinden gehören die in den Politischen Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger und Gemeindebürgerinnen an, die das Anteilsrecht am Bürgergut besitzen.1 Politische Funktionen üben die Bürgergemeinden seit dem Gemeindegesetz von 1944 allerdings nicht mehr aus.
Die aktuelle Situation der Bürgergemeinden ist das Ergebnis eines über 200 Jahre dauernden Reduktions- und Entflechtungsprozesses: In den alten Dorfgemeinden bestimmten die im Ort verbürgerten Familien die Dorfpolitik allein. Die gemeinschaftlich genutzten Äcker, Allmenden, Wälder, Gebäude und Strassen der Gemeinde gehörten der Bürgerschaft. Fremde konnten zwar mit Bewilligung der Bürgerschaft im Dorf Wohnsitz nehmen und auch Grundbesitz erwerben, blieben aber als Hintersassen oder Ansassen (mancherorts Schamauchen genannt) von der politischen Mitsprache ausgeschlossen. Dies funktionierte so lange gut, als in den Dörfern die Ortsbürger mehr oder weniger unter sich blieben.
Die Dorfgemeinde war damals unter anderem auch für die Armenfürsorge der Ortsbürger verantwortlich. Dazu bestanden Armenhäuser als soziale Einrichtungen. Das Mett-Oberschlatter Armenhaus steht heute noch an der Kohlfirststrasse 8 und dient als normales Wohnhaus. Das Unterschlatter Armenhaus stand an der Frauenfelderstrasse und wurde zwischen 1966 und 1972 abgebrochen. Aus Gründen der Verpflichtung den armengenössigen Ortsbürgern gegenüber versteht es sich, dass jede zusätzliche Einbürgerung auch ein Risiko für die Ortsgemeinde darstellte.
Mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung veränderte sich aber ab dem 18. Jahrhundert die Zusammensetzung der Einwohnerschaft. Der starke Zuzug von Auswärtigen führte dazu, dass ein wachsender Anteil der Wohnbevölkerung zwar Dienste leisten und Abgaben entrichten musste, aber gleichwohl keinen Anteil hatte an den politischen Entscheidungen.
Als Reaktion auf diese Verhältnisse wurde 1798 mit der Munizipalgemeinde ein neuer Gemeindetyp neben der Dorf- bzw. Bürgergemeinde eingeführt, bei dem die politische Mitsprache nicht mehr an das Ortsbürgerrecht, sondern an das neue helvetische Staatsbürgerrecht gebunden war. Die Ortsgemeinden Mett-Oberschlatt und Unterschlatt gehörten damals zur Munizipalgemeinde Basadingen. Die Munizipalgemeinden übernahmen einen Teil der öffentlichen Aufgaben wie Nachtwache, Fremdenkontrolle, Truppenunterbringung etc., während die Regelung der dörflichen Alltagsgeschäfte in den Händen der Dorfgemeinden verblieben, darunter so zentrale Aufgaben wie das Rechnungswesen, das Bauwesen und die Aufnahme in das Bürgerrecht. Im Besitz der Dorfgemeinden (genauer; im Besitz der ortsansässigen Bürgerschaft) verblieben auch der gesamte Grund- und Waldbesitz sowie die Strassen und öffentliche Liegenschaften.
Im Lauf des 19. Jahrhunderts setzte sich das Einwohnerprinzip immer mehr durch. Die Kantonsverfassung von 1849 brachte eine klare Trennung zwischen den Kompetenzen der Orts(bürger)gemeinden und Orts(einwohner)gemeinden. Die Ortsbürgergemeinden behielten ihren Besitz und erteilten weiterhin das Bürgerrecht und die Niederlassungsbewilligungen, die Ortseinwohnergemeinden übernahmen alle lokalen Aufgaben, und die nicht im Ort verbürgerten Einwohner erhielten zumindest in der Ortseinwohnerversammlung ein politisches Mitspracherecht.
Die Ortseinwohnergemeinden hatten nun zwar alle lokalen Aufgaben zu erfüllen, der Besitz der Gemeinde und damit die Einkünfte aus dem Boden und dem Wald blieb aber in den Händen der Ortsbürger. Nach der Verfassung von 1869 wurde daher eine Güterausscheidung eingeführt, aufgrund derer das rein bürgerlich genutzte Gut den Ortsgemeinden zugeteilt werden sollte. Die Bürgergemeinden traten daraufhin ab 1871 vor allem die Strassen und unproduktiven Liegenschaften ab, behielten aber gewisse Liegenschaften und den (damals wertvolleren) Wald in ihrem Besitz. Als öffentlich-rechtliche Korporation behielten sie auch mit dem Gemeindeorganisationsgesetz von 1874 weiterhin die Kompetenz zur Erteilung des Bürgerrechts.
Im Zuge der Güterausscheidungen von 1871 traten über 100 Bürgergemeinden ihren gesamten Besitz an die Ortsgemeinden ab und gaben sich damit praktisch selbst auf. Als Körperschaften der ortsansässigen Ortsbürger blieben sie allerdings bestehen oder entstanden sogar wieder neu, da weiterhin Bürgerrechte erteilt wurden und mit den Einkaufstaxen sogar wieder kleine Bürgervermögen geäufnet werden konnten.
Die Verleihung des Bürgerrechts als letzte "politische" Funktion verloren die Bürgergemeinden mit dem Gemeindeorganisationsgesetz von 1944 ebenfalls an die Ortsgemeinden. Ihre Hauptfunktion besteht seither in der Verwaltung des Bürgerguts. Wer heute nach dem Erwerb des Gemeindebürgerrechts der Politischen Gemeinde in die Bürgergemeinde aufgenommen werden will, muss sich dort einkaufen und damit das sogenannte Anteilsrecht erwerben.
So existierten im Schlattertal zuletzt die beiden Bürgergemeinden Mett-Oberschlatt und Unterschlatt, welche sich im Jahr 2007 zu der heutigen Bürgergemeinde Schlatt zusammenschlossen. Grund dafür war, dass laut dem Gesetz über die Gemeinden von 1999 auf dem Gebiet einer Politischen Gemeinde nur noch eine Bürgergemeinde bestehen darf.
1 Gesetz über die Gemeinden vom 5. Mai 1999, Art. 47 (Thurgauer Rechtsbuch 131.1)